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Den Betrachtenden fällt sofort der stilistische Unterschied zwischen dem mächtigen Turm und der Saalkirche auf. Während der Turm als Wehrturm deutlich mittelalterlichen, genauer: spätromanischen Ursprungs ist, gehört die Saalkirche mit dem Kirchenraum einer späteren Epoche an: dem späten Rokoko des 18. Jahrhunderts. Damit ist bereits die etwas verwickelte Geschichte der Kirche angedeutet.

Der jetzige Kirchenbau besaß zwei Vorgängerkirchen. Vermutet wird eine erste Kirche um das Jahr 1000, die erstmals im 12. Jahrhundert Erwähnung findet.

Es handelte sich um eine Wehrkirche. Fundamente wurden bei der Renovierung 1960 entdeckt: Diese erste Kirche umfasste nur die Hälfte der heutigen Fläche und war von quadratischem Grundriss. Wie alle mittelalterlichen Kirchen war sie geostet; wie ihre Nachfolgebauten bis heute. Im Zuge der Renovierung wurden auch Gräber bei der Kirche gefunden. Die zweite Kirche, ebenfalls noch mittelalterlicher Provenienz aus dem 14. Jahrhundert, verfügte über eine geräumigere Grundfläche, die bis zum heutigen Altar reichte. Sie hatte einen kreuzförmigen Grundriss mit zwei Seitenflügeln. In einem der beiden befand sich ein Marienaltar.

 Diese Kirche fand ihren Weg in die Reformationszeit. In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts erhielt der Turm einen Spitzhelm mit einem schmiedeeisernen Kreuz und einem vergoldeten Wetterhahn an der Spitze.

 In der Mitte des 18. Jahrhunderts wurde die Kirche als baufällig beschreiben. Die schwere gewölbte Steindecke hatte die Mauern auseinander gedrückt. Dieser Prozess konnte für gewisse Zeit verlangsamt werden, indem man von außen Pfeiler dagegen setzte; schließlich wurde aber 1749 die Baufälligkeit festgestellt und vom hessisch-darmstädtischen Landbaumeister Müller der Abriss verfügt – die Bobenhäuser hätten lieber versucht, die Kirche zu renovieren. So stand die Kirche noch eine Zeit. Als jedoch im Jahre 1760 durch einen Brand weitere Schäden entstanden, war der Abriss unumgänglich. Er erfolgte 1762.

 Der Neubau der Kirche erfolgte unter Erhaltung und Einbeziehung des Turmes von 1762-1765 unter Aufbringung erheblicher Eigenmittel durch Landbaumeister Lorenz Friedrich Müller als Rokokokirche. Es entstand eine einschiffige Saalkirche mit Mansarddach. In den in den großen romanischen Rundbogen des Turmes  wurde ein barockes Sandsteingewände eingesetzt. Am Südportal prangt das Wappen der Landgrafschaft Hessen-Darmstadt.

 Wer in den Innenraum der Kirche tritt, dem widerfährt, wie es einmal ein dort tätiger Organist sagte, eine Predigt besonderer Art. Die Symmetrie und Geradlinigkeit besticht. Der Blick wird sofort eingenommen vom Ensemble von Altar, Kanzel und Orgel. Die Sichtachse läuft zu auf die freistehende Orgelempore, die die Kanzel trägt. So ergibt sich ein Ensemble von Abendmahl, dem Altarsakrament, Verkündigung und Lob Gottes. Dahinter steht ein durchaus evangelisches Programm: die Einheit von Wort und Sakrament; aus der Verkündigung folgt die Gemeinschaft des Leibes Christi und das Gotteslob.

Die wertvolle, fast im Originalzustand erhaltene Rokoko-Orgel verfügt über 21 Register und ist eine der wenigen historischen zweimanualigen Orgeln in Hessen, die weitgehend im Ursprungszustand erhalten sind. Der Entwurf stammte vom ‚Hochfürstlich Hessen-Darmstädtischen Hof- und Landorgelmachers‘ Philipp Ernst Wegmann. Ursprünglich sollte die Orgel bereits 1766 und dann 1771 fertig gestellt sein, doch hielt Wegmann aus unbekannten Gründen die vertragliche Vereinbarung nicht ein. Sein Meistergeselle Johann Friedrich Meynecke setzte die Arbeit fort und vollendete die Orgel in den  Jahren 1774/75. Komplettiert wurde sie 1778 mit vier zunächst ausgesparten Registern. Renovierungen erfolgten 1961 durch die Fa. Kemper / Lübeck und 1979-1982 durch die Fa. Gerald Woehl / Marburg. Ihrem Klang zu folgen, ist nicht nur für Musikexperten ein einzigartiger Genuss. 

Überaus prägend für die Kirche ist ferner ihre Bildausstattung mit 48 Emporenbildern. Angefertigt hat sie der Maler Daniel Huisgen / Hisgen aus Lich (1733-1812), Sohn eines Pfarrers, dessen Familie holländischer, ursprünglich hugenottischer Herkunft war. In zwölf oberhessischen Kirchen hat man Bilder von ihm identifiziert. Bobenhausen sehr ähnlich ist die Kirche von Atzbach in der Gemeinde Lahnau zwischen Wetzlar und Gießen. Die Bobenhäuser Brüstungsbilder hat Hisgen im Jahre 1765 gemalt: Es handelt sich an der Altarseite bzw. an der Orgelempore um die Evangelisten und die Apostel. An den drei anderen Emporen ist ein 32-teiliger Bilderzyklus der Heilsgeschichte zu sehen, von der Schöpfung bis zum Pfingstgeschehen. Die Aufteilung ist nicht ganz symmetrisch zwischen Altem und Neuem Testament Fünfzehn Bilder bieten alttestamentliche Geschehnisse, siebzehn neutestamentliche Ereignisse. Bei letzteren bildet das Leiden Jesu den Schwerpunkt. Die Figuren sind in Rokoko-Kleidung gemalt, etwa die ägyptische Prinzessin, die den kleinen Mose in seinem Körbchen findet. Die drei Weisen aus dem Morgenland tragen Hermelinpelz nach Art der Kurfürsten des Heiligen Römischen Reiches. Hisgen griff für seine Bilder auf Vorlagen zurück. Sie entstammten der von Georg Gruppenbach veröffentlichten Tübinger Bibel mit Bildern von Christoph Meurer aus dem Jahre 1591. Zwei Gemälde von Martin Luther und Philipp Melanchthon komplettieren das ikonographische Programm der Kirche. 

Mit den drei Emporen bietet die Kirche insgesamt ca. 450 Sitzplätze. Bis in die jüngste Zeit ist es – zumindest an hohen Festtagen – Tradition, dass die Dörfer des Kirchspiel ihren festen ‚Block‘ haben, an dem die Gemeindeglieder sitzen, wobei die Lage des Blocks in die Richtung des jeweiligen Ortes weist. Ebenso wurde die entsprechende Türen der drei Türen der Kirche benutzt. Vor der Generalrenovierung im Jahre 1960 befand sich ein Lettner in Form einer Balustrade als Abgrenzung zum Altarraum und zu den im Altarraum befindlichen Bankreihen, die für Pfarr- und Lehrerfamilien, Förster und Kirchenvorstand reserviert waren. 

Die Kirche verfügt über vier Glocken:

  1. Die große Glocke wurde 1790 von Friedrich Wilhelm Otto, Gießen, gegossen. Sie musste im letzten Krieg abgegeben werden, wurde nach dem Krieg in Hanau wiedergefunden und nach Bobenhausen zurückgeholt, ab dem Mücker Bahnhof unter dem Geläut aller Glocken an ihrem Wege.

  2. Die älteste Glocke: St. Anna-Glocke. Sie wurde 1521, kurz vor der Reformation, von einem Nicklaus von Lothringen, möglicherweise ein lothringischer Wandergießer, gegossen. Am Fries aus dem Hals finden sich die Inschriften: „gelt  got  maria  sant anna  selb drit“, und: „migc“ sowie drei Pilgerzeichen:
    ein Ritter in voller Rüstung, mit Fahne und Schild, wohl der hl. Gangolf; eine Abbildung des Stalls von Bethlehem mit rosenumrankter Muttergottes samt Spruchband; eine Kreuzigungsszene mit Maria und Johannes.
    Die Pilgerzeichen deuten darauf hin, dass Bobenhausen, wenn nicht Wallfahrtsort, Sammelort für Pilgerfahrten gewesen sein könnte. Abgüsse der Pilgerzeichen sind im Turmraum, im Eingang der Kirche zu sehen.

  3. Die neue Glocke, gegossen 1955 in der Glockengießerei Rincker, Sinn, als Ersatz für die zweite im Krieg abgegebene und verschollen gebliebene kleine Glocke, die Arnold von Fulda 1584 gegossen hatte. Die Inschrift lautet: „O Land, Land, höre des Herrn Wort“ (Jeremia 22,29).

  4. Die zweite neue Glocke, 1962 ebenfalls in der Glockengießerei Rincker, Sinn gegossen. Sie ist den Gefallenen der beiden Weltkriege gewidmet. 

Der auf der St. Anna-Glocke abgebildete Ritter Gangolf verweist auf das Patrozinium der Kirche. Sie war dem hl. Gangolf (auch Eginolf) geweiht, einem Ritter aus karolingischer Zeit, der um 760 ermordet wurde und später als Heiliger Verehrung fand. Die ersten Viten, also Lebensbeschreibungen des Heiligen entstammen erst dem 10. Jahrhundert; eine verdankt sich Roswitha von Gandersheim. Besonders verehrt wurde Gangolf im östlichen Frankreich, Burgund, Lothringen und Elsaß sowie in Deutschland im Raum Mosel und Franken.

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